Grenzüberschreitender Blick auf die Obdachlosigkeit
Besuchergruppe der Sozialabteilung des Bezirksamtes Pilsen informierte sich in der Oberpfalz über Unterstützungsangebote für obdachlose Menschen
Regensburg, 17.04.2024 - Es ist inzwischen schon eine feste Institution, dass sich Mitarbeitende der Sozialverwaltungen des Bezirks Oberpfalz und der Regionsbehörde Pilsen regelmäßig zu einem fachlichen Austausch treffen. Diesmalig fand man sich wieder in der Oberpfalz zusammen, um sich im Rahmen eines zweitägigen Arbeitstreffens zum Thema Obdachlosigkeit zu beraten. Eingeladen hierzu hatte der Bezirk Oberpfalz mit Amtsleiter Dr. Benedikt Schreiner und Marje Mülder, Leiterin der Sozialverwaltung, die seit dem vergangenen Jahr die Arbeitsgruppe „Soziale Dienste“ im Rahmen der Regionalkooperation Oberpfalz-Pilsen betreut.
Den Auftakt bildete eine thematische Einführung in die Aktivitäten des Bezirks Oberpfalz im Bereich Versorgung von Menschen mit besonders herausfordernden Verhaltensweisen und der Obdachlosigkeit. Grundlage für Letzteres sind die Paragraphen 67 ff. Zwölftes Buch des Sozialgesetzbuches (SGB XII), gemäß denen Leistungen zur Überwindung von sozialen Schwierigkeiten bei Personen mit besonderen Lebensverhältnissen zu erbringen sind, wenn diese hierzu nicht aus eigener Kraft fähig sind. Die tschechischen Gäste zeigten sich besonders interessiert an den Unterschieden zwischen der rechtlichen Situation in Deutschland und der Tschechischen Republik. So gibt es beispielsweise jenseits der Grenze für Personen mit psychischen Problemen, die übergriffig werden, keine Möglichkeit der Unterbringung in einer Forensik, sondern nur den Strafvollzug. Auch die betreuungsrechtliche Unterbringung in Einrichtungen der Eingliederungshilfe kennt die Tschechische Republik nicht. Obdachlosigkeit steht jedoch häufig in Verbindung mit mentalen Erkrankungen und Suchtproblemen.
Die Unterstützung von wohnungslosen Menschen ist überwiegend die Aufgabe der jeweiligen Kommune (Gemeinde), daher wurden insbesondere kommunale Angebote besucht. Zur praktischen Veranschaulichung wurden - gemeinsam mit dem Leiter des Sozialamtes Regensburg, Christoph Gailer - in der Folge drei Einrichtungen besucht, die Hilfe für obdachlose Menschen bieten. Barbora Pokorny, Leiterin der Obdachlosen-Unterkunft „NOAH - dein TagNachtHalt“ der Caritas Regensburg, die Teil des gleichnamigen Programms NOAH (Niederschwelliges und Ortsnahes Angebot, um Menschen zu helfen, die auch ohne festen Wohnsitz ihren Anspruch auf Heimat haben) ist, erläuterte ihren Besuchern, dass man insgesamt über 78 Plätze für Obdachlose verfüge, die zusammen von rund 30 Mitarbeitenden betreut werden. 22 Plätze davon seien konzeptionell für Frauen vorgesehen, die auf einer eigenen Etage mit den Männern unter einem Dach wohnen. Wichtig sei jedoch, dass man zwischen wohnungslosen Menschen, die häufig bei Freunden unterkommen, und obdachlosen Menschen unterscheide. Die Zielgruppe bei NOAH sind vornehmlich obdachlose Menschen, für die es unter anderem auch ein mobiles Büro in einem umgebauten Bus und ein Kälteschutz-Telefon gibt. Wer Zuflucht in der Unterkunft findet, muss sich gemäß Pokorny an klare Regeln halten: Es besteht mindestens zweimal pro Monat eine Beratungsverpflichtung, es gibt ein klares Alkohol- und Drogenverbot und es muss mit dem Sozialamt zusammengearbeitet werden, das einen Berechtigungsschein für die Unterkunft erteilt. Rund 50 Prozent der obdachlosen Menschen kommen aus Osteuropa, das heißt, sie haben oftmals keine Krankenversicherung und auch keine Unterkunftsberechtigung, was vielfach ein Problem darstellt. Daher arbeitet die Unterkunft sehr eng mit Raphael e.V. zusammen, einem Verein, der Menschen ohne Krankenversicherung ärztliche Behandlung anbietet. Etwa 90 Prozent der obdachlosen Menschen leiden zudem an einer psychischen Erkrankung. Erschwerend kommt hinzu, dass die Wohnungssituation in Regensburg extrem schwierig ist, weshalb nur selten eine Unterbringung in Sozialwohnungen gelingt. Das Konzept der Einrichtung, die von der Stadt Regensburg finanziert wird, orientiert sich an den Grundbedürfnissen der Menschen, die primäre Aufgabe ist der Schutz von Opfern. Daher wird bei gewalttätigen Verstößen, aber auch bei Verstößen gegen die Hausordnung ein Hausverbot erteilt, dessen Dauer von der Schwere des Vergehens abhängig ist. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind vor diesem Hintergrund drei Schulungen verpflichtend: Ein Erste-Hilfe-Kurs, ein Kurs für Erste Hilfe bei psychischen Erkrankungen und ein Deeskalationstraining. Für Einrichtungsleiterin Barbora Pokorny steht der Dienst am Menschen bei ihrer Arbeit stets im Vordergrund. Klar ist für sie aber auch, dass man diese Aufgabe nur erfüllen kann, wenn man Menschen möglichst vorurteilsfrei begegnet.
Ein anderes Konzept verfolgt das Haus St. Rita in Regensburg, das als zweiter Besuchspunkt auf der Agenda stand. Es handelt sich hierbei um eine stationäre Einrichtung mit acht Plätzen, die speziell für Frauen in besonderen Notlagen vorgesehen sind. Wie Einrichtungsleiterin Karin Haubenschild erklärte, gibt es für jede Frau eine Finanzierung über den Bezirk Oberpfalz im Rahmen der Einzelfallhilfe. Primär handelt es sich um Frauen, die aus dem Strafvollzug oder aus der psychiatrischen Fachklinik entlassen werden und nicht zurück in ihre Wohnung können bzw. ihre Wohnung verloren haben. Sie dürfen keine akuten Drogen- oder Alkoholprobleme haben und sind in St. Rita an eine enge Hausordnung gebunden, um über eine geregelte Tagesstruktur in ein geregeltes Leben zu finden. Wer gegen diese Ordnung verstößt, riskiert eine Kündigung. Da oftmals psychische Erkrankungen vorliegen und der eigene Antrieb nur gering ist, werden verschiedene Angebote und Aktivitäten unterbreitet. Das Ziel ist es gemäß Haubenschild, dass die Frauen von sich aus eine eigene Arbeit und Wohnung finden, weshalb auch eine enge Kooperation mit dem Job Center Regensburg besteht. Ebenso arbeitet St. Rita, das über drei hauptamtliche Sozialarbeiterinnen verfügt, eng mit den Frauenhäusern zusammen, ist aber selbst kein Frauenhaus. Im Durchschnitt verbleiben die Frauen zwischen einem und eineinhalb Jahren in der Einrichtung, wobei nur Frauen ab 21 Jahren aufgenommen werden. Karin Haubenschild verweist aber auch darauf, dass die Frauen, die zu ihr kommen, immer jünger würden. Umso wichtiger ist ihr die Arbeit mit ihren Bewohnerinnen, um diesen eine gute Perspektive zu bieten.
Am zweiten Tag des Arbeitstreffens erfolgte der Besuch der Obdachlosenunterkunft Ursula-Barrois-Haus in der Schustermooslohe bei Weiden. Wolfgang Hohlmeier, Dezernent für Familie und Soziales bei der Stadt Weiden, führte mit seinen Kollegen Evi Fink und Tobias Ebnet gemeinsam durch die neue Einrichtung, die erst im Januar 2024 bezogen worden ist und die dem Prinzip „Deeskalierend und vandalismussicher“ folgt. Insgesamt stehen hier 44 Plätze für obdachlosen Menschen zur Verfügung, wobei es auch einen Reparaturraum für Fahrräder und andere Geräte, Waschmöglichkeiten für Bekleidung, Lagerräume und eine Hygienestation mit ärztlicher Betreuung gibt. Zudem werden ein Wohntraining und ein Sozialcoaching angeboten, in dessen Rahmen die Bewohnerinnen und Bewohner regelmäßig beim Amt vorstellig werden müssen und zu aktiven Leistungen verpflichtet sind. Die Mehrheit der obdachlosen Menschen in der Schustermooslohe ist zwischen 18 und 39 Jahren alt, wobei auch hier eine Verjüngung feststellbar ist. Wie Evi Fink, Leiterin der Abteilung besonderer Sozialdienst, betont, gab es in Weiden bis 2018 nur eine Unterbringungsmöglichkeit für obdachlose Menschen. Seither wird auch soziale Arbeit für sie geleistet, was sich in einer deutlichen Absenkung der durchschnittlichen Verweildauer von 26 Monaten (2020) auf 13 Monate (2023) sowie in einem Rückgang der Langzeitwohnungslosen bemerkbar macht. Zugleich ist der Zuschussbedarf der Stadt Weiden, der die Einrichtung gehört, in dieser Zeit spürbar gesunken.
Bei einem abschließenden Besuch des Inklusionscafés „Grenzenlos“ in Weiden, das im dortigen Maria-Seltmann-Haus untergebracht ist und Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung bietet, rekapitulierten die tschechischen Gäste, dass insbesondere das deutsche Sozialsystem und die damit verbundenen Möglichkeiten für Betroffene für sie interessant sei. Aus aus den Einrichtungen wurden viele neue Eindrücke zurück nach Pilsen genommen. Nächstmalig wird sich die Arbeitsgruppe im Herbst 2024 treffen. Dann ist wieder ein Austausch auf der tschechischen Seite vorgesehen.